Transition
Politics of Gestures-Lab
Workshop II / Hallein
Das Projekt war als „Politics of Gestures“-Lab Teil des Schmiede Festivals und bot den rund zweihundert internationalen Teilnehmer/innen die Möglichkeit, sich in den Forschungsprozess einzubringen. Ein entsprechendes Format stellten die Vorträge und Workshops mit den beiden Gästen Antje Vowinckel (Feature- und Hörspielautorin, Berlin), „Melody minus One“ und Stefan Krebs (Technikhistoriker, Universität Luxemburg), „Experimental Media Archaeology and the Politics of Kunstkopf Stereophony“, dar. Zudem entstand eine Zusammenarbeit vor Ort mit der Künstlerin und Regisseurin Lucie Strecker („Modeling the Immune System with Gestures“) sowie aktiver Austausch über politische Gesten mit dem Kulturmanager und Intendanten Anwar Akhtar und technische und inhaltliche Reflektion mit dem Medienkünstler und Programmierer Mark Coniglio.
Timo Herbst zeigte seine Arbeit „Play by rules (Hamburg)“, die auf den Demonstrationen und Ausschreitungen im Umfeld des G20-Gipfels im Juli 2017 basiert. Im Fokus der Videoinstallation stehen die allgegenwärtigen internetfähigen Bild- und Tonaufnahmegeräte, die Demonstrant/innen und Berichterstatter der Nachrichten nutzten, um Geschehnisse zu dokumentieren und teilweise in Echtzeit zu verbreiten.
Laurie Young gab den Projektteilnehmer/innen Einblick in ihre Arbeitsmethode, die sie seit Braunschweig hatte weiterentwickeln können. Die Choreographin hatte inzwischen gemeinsam mit der kanadischen Tänzerin Justine Chambers an ihrer Methode der sequentiellen Analyse von Protestgesten gearbeitet. Bedingt durch autobiografische Momente, die mit diesen Gesten verknüpft waren, beschrieb Young den Prozess als besonders intensive Erfahrung. Konrad Strutz stellte seine künstlerische Beschäftigung mit fotografischen Abbildungen abseits gewöhnlicher Raumdarstellung vor, betonte das Element Zeit, das diese Abbildungsvorgänge benötigen und baute eine eigens konstruierte Maschine im Raum auf. Tobias Schulze machte seine Recherche zur Social Media-App „musical.ly“ zugänglich und stellte seine Überlegungen zum Zusammenhang von Technik, Geste und Verwendung von Gesten in der Populärkultur vor.
Zur kollaborativen Weiterentwicklung der eingebrachten Arbeiten in kleineren Gruppen, griffen die Projektteilnehmer/innen auf das Framework der „Transformation Chains“ zurück, die künstlerische Arbeitsweisen mit spielerischen Zugängen (u.a. „Cadavre Exquis“) vereinen kann. Dina Boswank verschriftlichte eine Zeichnung Herbsts, in der er Sequenzen einer Geste festhielt. Boswank arbeitete zunächst deskriptiv, die evozierten sprachlichen Bilder offenbarten aber spätestens durch die performative Rückübersetzung in Körperbewegungen ihren großen experimentellen Spielraum.
Mit einer weiteren Spielart der Übersetzung zwischen unterschiedlichen Notationen experimentierte Florian Bettel, der Boswanks Text mithilfe des Google Bildersuche-Algorithmus in Zeichnungen überführte. Bettel hob dabei die Bedeutung des Kontextes dieser Bilder hervor, da Einzelbilder kaum lesbar waren. Die Frage nach dem Kontext und der Zuschreibung von Bedeutung spitzte er mit einer Serie von Bildern mit unterschiedlichen Bildunterschriften weiter zu.
In gemeinsamer Arbeit und durch das Experimentieren mit Kinect-Hardware entwickelten Strutz und Young das Konzept einer Choreographie, welche es ermöglichen soll, Überwachungssysteme (z.B. an Staatsgrenzen) durch die Anpassung der Bewegungsmuster einer Person zu unterlaufen.
Ausgehend von „Play by Rules“ befragte Irina Kaldrack das Verhältnis von dem Politischen, Geste und Medien. Es entstand die Rohfassung der Installation und Lecture Performance „Transforming Political Gestures Through a Chain“: Video- und interaktive Soundinstallation (Herbst) verzahnen sich mit den Beschreibungen von Gesten (Boswank) und einem performativen Vortrag (Kaldrack). Anfang November zeigten sie diese auf internationalen Tagung „Affective Transformations“.
Auf theoretischer Ebene widmeten sich die Projektteilnehmer/innen der Recherche weiterer künstlerischer Referenzen und den Grundzügen einer Klassifikation dieser Beispiele. Zudem wurde die Verwendung von Protestbewegungen und -gesten in der Populärkultur (u.a. Musikvideos) beleuchtet. Die gemeinsame Auseinandersetzung in der Gruppe brachte außerdem das Thema „Spiel“ auf, das aus kulturtheoretischer Perspektive mit Johan Huizinga und Roger Caillois eingeordnet und für weitere Anknüpfungspunkte zwischen den einzelnen Arbeiten aufbereitet wurde. Die fortlaufende theoretische Reflexion und die Anknüpfung an aktuelle Diskurse sind Grundlage zur Erarbeitung neuer Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand „Geste“ sowie zur Vorbereitung auf das Symposium und die Publikation, die alle Ergebnisse abschließend bündeln sollen.